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40 Prozent weniger Mammakarzinome während Corona-Lockdown entdeckt

Corona-Lockdown erschwerte Zugang zu Früherkennung – trotz ständiger Durchführung aller notwendigen Operationen und systematischer Therapien. Dringender Appell der Österreichischen Gesellschaft für Senologie (ÖGS) zur weiteren Wahrnehmung der Mammografie-Früherkennungsuntersuchung. Krebstherapien bedeuten kein erhöhtes Mortalitätsrisiko für COVID-19-Patient*innen.

Im Rahmen einer Pressekonferenz präsentierte die ÖGS erste, dramatische Zahlen zur Diagnose und Therapie des Mammakarzinoms und anderer Krebsformen während des Corona-Lockdowns. Wie eine Studie unter der Federführung der Universität Innsbruck durch die Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) an 18 österreichischen Zentren zeige, „haben wir während des Lockdowns von März bis Mai in der Brustkrebsfrüherkennung um 40 Prozent weniger  Mammakarzinome neu diagnostiziert, als im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2019“, stellte Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, Leiter des Brustgesundheitszentrums der Medizinischen Universität Wien und Präsident der ÖGS, fest. „Für manche der Betroffenen ist das dramatisch“, fügte Singer hinzu. „Eine Situation wie wir sie im Corona-Lockdown hatten, wo die Früherkennung ausgesetzt war, gilt es daher künftig unbedingt zu vermeiden“, so Singer weiter. Die Mammografie-Früherkennungsuntersuchung müsse ab sofort wieder uneingeschränkt wahrgenommen werden, appelliert Singer.

PR Bild ÖGS v.l.n.r.: Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christoph Steininger, Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, Univ.-Prof. DDr. Mag. Eva Schernhammer, Univ.-Prof. Dr. Alexandra Resch, Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller © Ludwig Schedl
v.l.n.r.: Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Christoph Steininger, Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, Univ.-Prof. DDr. Mag. Eva Schernhammer, Univ.-Prof. Dr. Alexandra Resch, Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller © Ludwig Schedl

Singer verwies in diesem Zusammenhang auf Schätzungen aus Großbritannien, die von einer substantiellen Zunahme von vermeidbaren Mortalitäten bei Krebserkrankungen ausgehen – aufgrund verspäteter Krebs-Diagnosen, die in diesem Jahr vorrangig auf die Corona-Maßnahmen zurückzuführen sind.

Krebserkrankungen kennen keinen Lockdown

Politik und Bevölkerung konzentrierten sich in den letzten Monaten stark auf den Umgang mit COVID-19, was dazu führte, dass andere, ebenfalls lebensbedrohliche Erkrankungen in den Hintergrund rückten. „Aber Krebserkrankungen wie Brustkrebs kennen keinen Lockdown“, warnt Singer. „Die radiologischen Einrichtungen sind bestens ausgestattet und geben die höchstmögliche Sicherheit, im Warte- sowie im Untersuchungsraum nicht an Corona zu erkranken. Dasselbe gilt auch für die Ordinationen von Ärztinnen und Ärzten in Österreich und Krankenhäuser im Allgemeinen“, so Singer.

Statistische, österreichweite Erhebungen der Fachgruppe Radiologie der Österreichischen Ärztekammer sind aktuell noch im Laufen. Erste Standorterhebungen zeigen, dass die Frequenz an Screeninguntersuchungen im März und April um 70 bis 80 Prozent zurückgegangen sind. „Es liegt daher nahe, dass vor allem die asymptomatischen, sogenannten „screen-dedected“ frühen Krebsstadien in dieser Zeit nicht diagnostiziert wurden“, sagt Univ.-Prof. Dr. Alexandra Resch, Vizepräsidentin der ÖGS, Radiologin und Radioonkologin am Franziskusspital Margareten. „In der Zwischenzeit konnten die Untersuchungen teilweise wieder nachgeholt werden. Wir liegen aber derzeit noch immer zirka 15 Prozent unter den Zahlen des Vorjahres“, so Resch.

Eingeschränkte Diagnostik und Therapie von Non-COVID-19-Erkrankungen während Lockdown zeigt Folgeschäden

Die COVID-19-Pandemie und deren Bekämpfung veränderte den modernen Medizinbetrieb schwerwiegend. „Patient*innen hatten insbesondere während dem Lockdown einen erschwerten Zugang zu Diagnostik und Therapie von Non-COVID-19-Erkrankungen, wodurch in unserer Beobachtung wichtige medizinische Maßnahmen nur in einem stark reduzierten Umfang möglich waren“, berichtet Prof. Dr. Steininger, Facharzt für Innere Medizin und Virologie. „Diese Einschränkungen betrafen nicht nur die Krebsvorsorge und -Therapie, sondern auch die Vorbeugung und Therapie von Infektionserkrankungen“, erklärt Steininger. „Impfungen, die insbesondere für immungeschwächte Krebspatient*innen wichtig sind, konnten häufig nicht verabreicht werden, beziehungsweise suchten Patient*innen ihren Arzt oder ihre Ärztin dafür nicht auf“, beklagt Steininger.

Krebsart und -therapien beeinflussen nicht Risiko, an COVID-19 zu sterben

Eine rezente und bislang größte Studie zu COVID-19 und Krebs, durchgeführt von Forschern der Vanderbilt University unter Einbeziehung von mehr als 100 Krebszentren und anderen Organisationen, untersuchte insgesamt 928 an Krebs erkrankte Patient*innen aus den USA, Kanada, und Spanien, bei denen auch COVID-19 diagnostiziert wurde – 191 Personen mit Brustkrebs.

„Als eines der wesentlichsten Ergebnisse dieser Studie zeigte sich, dass sowohl Krebsart als auch die Krebsbehandlungen das Risiko, an COVID-19 zu sterben, nicht zu beeinflussen scheinen“, erklärt Univ.-Prof. DDr. Mag. Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie an der Medizinischen Universität Wien. „Gefährdet durch eine höhere COVID-19-Mortalität sind Krebspatient*innen, welche eine ernste Vorerkrankung wie Diabetes, COPD, Herzerkrankungen etc. aufweisen, oder bei denen ein aktives Tumorgeschehen und ein schlechter ECOG-Leistungsstatus-Score (Allgemeinzustand) vorliegt“, informiert Schernhammer. „Auch andere, kleine Studien, die sich speziell mit Menschen mit Brustkrebs in Krankenhäusern in Frankreich und New York City befassten, zeigen ähnlich ermutigende Ergebnisse“, fasst die Epidemologin zusammen.

Strahlentherapie hemmt nicht Immunsystem

„Eine Strahlentherapie führt nicht dazu, dass das Immunsystem supprimiert wird“, stellt Radiologin und Radioonkologien Univ.-Prof. Dr. Alexandra Resch klar. Es gebe keinerlei Daten, die in diese Richtung etwas suggerieren würden, so Resch.

„Wichtig ist das, was für alle anderen Bereiche auch gilt: Auch im medizinischen Bereich gilt die Abstandsregel und es besteht Maskenpflicht. Wenn sich jemand krank fühlt, gilt es, gegebenenfalls zuhause zu bleiben, um keine anderen anzustecken“, sagt Resch. „Das sollte aber mit den behandelnden Radioonkolog*innen besprochen werden. In ausgewählten Fällen können auch COVID-19-positive Patientinnen bestrahlt werden, selbstverständlich unter speziellen Sicherheitsbedingungen. Denn auch hier gilt: Die indizierte Strahlentherapie von Brustkrebs ist meistens für die betroffene Patientin wichtiger als eine vermutlich nur mild oder asymptomatisch verlaufende COVID-19-Infektion“, erklärt Resch.

Wenn Krebstherapien verzögert durchgeführt werden, steigt das Krebssterberisiko deutlich. Aus diesem Grund ist es wichtig, laufende onkologische Therapien – seien es Chemotherapie, Strahlentherapie, Medikamententherapie, Antihormone – zusammen mit den onkologischen Betreuer*innen und Ärzt*innen weiterhin korrekt durchzuführen.

Einschränkungen in Chirurgie wieder aufgehoben

„Am Höhepunkt der Corona-Pandemie kam es in der chirurgischen Praxis zu großen Einschränkungen. Rekonstruktionen der Brust wurden nur auf Sofortrekonstruktionen beschränkt – also nur, wenn in derselben Sitzung auch der Tumor entfernt wurde“, berichtet Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller, Vorstandsmitglied der ÖGS, Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie und Abteilungsvorstand im Wilhelminenspital sowie in der Krankenanstalt Rudolfsstiftung der Stadt Wien.

Seit Ende des Lockdowns werden sekundäre Rekonstruktionen mit allen Methoden wieder durchgeführt. Ebenso auch prophylaktische Eingriffe – also Operationen, bei denen die Brust entfernt wird, weil ein beispielsweise genetisches Risiko besteht, an Brustkrebs zu erkranken.  Eine Rekonstruktionen mit Implantaten oder Eigengewebe findet meistens in der selben Sitzung statt. „Betroffene brauchen sich definitiv nicht zu fürchten, im Spital mit dem Virus angesteckt zu werden. Im Spital sind alle COVID-19-getestet“, sagt Koller. Ein Ansteckungsrisiko sei daher außerhalb des Spitals größer als nach einer Aufnahme im Spital, beruhigt Koller.

Die Österreichische Gesellschaft für Senologie (ÖGS) ist ein interdisziplinäres Forum für Brustgesundheit, bestehend aus Gynäkologen, Chirurgen, Radiologen, Onkologen, Strahlentherapeuten, plastischen Chirurgen und Pathologen. Sie unterstützt den Erfahrungsaustausch zwischen verschiedenen klinischen, diagnostischen und theoretischen Fachrichtungen auf den Gebieten der Medizin, der Biologie, der Physiologie und allen Personen, die sich mit Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Brustdrüse beschäftigen. Die ÖGS fördert darüber hinaus kooperative und interdisziplinäre Studien zur wissenschaftlichen Vertiefung der Kenntnisse in diesem Bereich. Weitere Informationen unter: www.senologie.at