Primarärzte warnen: Organisationsstrukturen behindern optimale Patientenversorgung
Ärzte in Führungsposition beklagen außerdem mangelnden Rückhalt im System
Das Berufsbild des Primararztes stand im Mittelpunkt der Jahrestagung des Verbands der leitenden Krankenhausärzte Österreichs (VLKÖ) am 18. Jänner in Wien. Präsentiert und diskutiert wurde eine in Österreich erstmals durchgeführte Studie zum Selbstbild ärztlicher Führungskräfte. Brisantes Ergebnis: Primarärzte sehen bestehende Organisationsstrukturen in Spitälern als hinderlich für die optimale Patientenversorgung und beklagen außerdem mangelnden Rückhalt sowohl bei Vorgesetzten als auch in der Politik.
Ärztemangel, Reformstau und ungeleitete Patientenströme größte Hindernisse
Der administrative Aufwand für Primarärzte nimmt der aktuellen Studie zufolge kontinuierlich zu und verdrängt zunehmend die rein medizinischen Aufgaben. Die Bewältigung dieses Aufwands wird durch strukturelle Unzulänglichkeiten zusätzlich erschwert, was zu einer steigenden Unzufriedenheit bei Primarärzten führt. „Der Reformstau in der Politik, der zunehmende Ärztemangel sowie die Überfrachtung der Ambulanzen mit ungeleiteten Patientenströmen sind große Bürden, mit denen Primarärzte heute zu kämpfen haben. Hinzu kommen noch Probleme bei der praktischen Umsetzung der vorgegebenen Ärztearbeitszeit sowie eine Intensivierung der Kooperation mit Ärzten im niedergelassenen Bereich“, schildert Prim. Doz. Dr. Otto Traindl, Präsident des VLKÖ, die aktuellen Probleme.
Darüber hinaus sind Primarärzte einem hohen Budgetdruck ausgesetzt, der weitreichende Folgen haben kann. Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner LL.M, Institutsvorstand an der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Universität Wien, erläutert: „Fachlich sind Primarärzte verpflichtet, eine dem Stand der medizinischen Wissenschaften entsprechende Behandlung zu gewährleisten. Das Spannungsverhältnis zwischen medizinischen Notwendigkeiten und ökonomischen Restriktionen kann zu haftungs- und dienstrechtlichen Problemen führen.“
Wertschätzung von Primarärzten in der Gesellschaft deutlich höher als innerhalb der Organisation und seitens der Politik
Ärzte in Führungsposition erhalten aufgrund ihrer Funktion als Mediziner und Manager große Anerkennung von ihren Patienten und der Gesellschaft. Die Wertschätzung innerhalb der eigenen Institution nimmt jedoch nach oben hin deutlich ab. „Unsere Studie zeigt, dass Primarärzte innerhalb ihres Krankenhauses zwar eine positive Wertschätzung von hierarchisch untergeordneten oder gleichgestellten Mitarbeitern erleben. Deutlich weniger Wertschätzung wird jedoch von unmittelbar Vorgesetzten, dem kaufmännischen Bereich und dem obersten Management empfunden“, erläutert Studieninitiator Dr. Peter Hoffmann. Am wenigsten Anerkennung erhalten Primarärzte nach eigener Einschätzung von Seiten der Politik.
Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer für Wien, bemängelt außerdem, dass Primarärzte selbst nicht ins Spitalsmanagement aufsteigen können: „Beispiele und Studien aus der ganzen Welt belegen, dass Ärztinnen und Ärzte gute, wenn nicht sogar die besseren Spitalsmanager sind und zu einer zunehmenden Zufriedenheit und Leistungssteigerung im Krankenhaus beitragen könnten – wenn man sie in die entscheidenden Positionen lässt.“
Ruf nach „Gesundheitsplan 2020“ und stärkerer Mitsprache für Primarärzte
Der VLKÖ fordert daher eine vermehrte Einbindung der leitenden Krankenhausärzte in wichtige Entscheidungsprozesse und eine rasche Umsetzung der Gesundheitsreform. „Für uns ist es wichtig, einen klar definierten ‚Gesundheitsplan 2020‘ zu haben. Darin enthalten sein müssen Maßnahmen gegen den Ärztemangel, moderne Arbeitszeitmodelle für Ärzte, die Klärung der Zuständigkeiten in der Patientenversorgung sowie eine genaue Definition und Abgrenzung der Tätigkeiten, die von Ärzten, Pflegepersonal oder anderen Berufsgruppen gemacht werden“, so Traindl.
Darüber hinaus wünscht sich der VLKÖ eine Reduktion der administrativen Tätigkeiten für Primarärzte, um den Fokus wieder verstärkt auf die Arbeit mit und für den Patienten legen zu können.
Weitere Studienergebnisse:
Frauenanteil in Führungspositionen steigt
Wie in vielen gehobenen Führungspositionen ist auch unter den Primarärzten der Männeranteil mit über 85 Prozent dominierend. In den letzten Jahren kam es jedoch zu einem deutlichen Anstieg des Frauenanteils. „Es bewerben sich zwar nach wie vor mehr Männer als Frauen für ärztliche Führungspositionen, doch der Frauenanteil nimmt kontinuierlich zu. Generell steigt die Zahl der Ärztinnen in der Medizin deutlich, bereits mehr als 50 Prozent der jungen Ärzte sind weiblich. Ich bin zuversichtlich, dass damit auch die Zahl der Ärztinnen weiter steigen wird, die sich für Primariate bewerben, und der Trend zu einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis in den Führungsetagen anhält“, so Traindl.
Zufriedenheit und Loyalität unter Primarärzten in Wien am höchsten
Ein interessantes Detail der Studie bietet der Blick auf Wien: Primarärzte in der Bundeshauptstadt sind sowohl mit ihrer beruflichen Tätigkeit als auch mit der Balance von Beruf und Privatleben signifikant zufriedener als ihre Kollegen in den Bundesländern. In Wien herrschen tendenziell auch eine höhere kollegiale Loyalität und ein ausgeprägteres Standesbewusstsein als anderswo.
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Der Verband der leitenden Krankenhausärzte Österreichs (VLKÖ) fördert als Vertreter einer entscheidenden Gruppe ärztlicher Führungskräfte den Kontakt und Erfahrungsaustausch mit allen im Krankenhauswesen tätigen physischen und juristischen Personen, medizinischen Universitäten und Akademien einschließlich der ärztlichen Ausbildung. Zudem unterstützt der VLKÖ die gegenseitige, interdisziplinäre Information seiner Mitglieder in ihrer Funktion als leitende Ärzte und steht Spitalserhaltern und dem für die Belange des Gesundheitswesens zuständigen Bundesministerium beratend zur Seite. Weitere Informationen unter: www.leitendekrankenhausaerzte.at