Brustkrebs-Früherkennungsprogramm: ÖGS beklagt gravierende Mängel bei Bewerbung, Umsetzung und Evaluierung
Bessere Ansprache der Zielgruppen, stärkere Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte und mehr Ressourcen für Dokumentation und Auswertung sind Hauptforderungen der ÖGS
(Wien, am 11. Mai 2017) Im Rahmen einer Pressekonferenz am 11. Mai in Wien nahm die Österreichische Gesellschaft für Senologie (ÖGS) – das interdisziplinäre Forum für Brustgesundheit, bestehend aus Gynäkologen, Chirurgen, Radiologen, Onkologen, Strahlentherapeuten, plastischen Chirurgen und Pathologen – Stellung zu dem vor kurzem veröffentlichten Evaluationsbericht des Brustkrebs-Früherkennungsprogramms. Zwar sei die Qualität der Vorsorgeuntersuchungen deutlich gestiegen, doch nehmen viel zu wenige Frauen am Screening-Programm teil. Weitere Kritikpunkte sind die mangelnde Einbeziehung von niedergelassenen Ärzten, die unzureichende Dokumentation von Abklärungsuntersuchungen sowie fehlende Daten zur seriösen Evaluierung des Programms.
Qualität der Früherkennungsuntersuchungen gestiegen – Zielgruppe mit höchstem Risiko wird jedoch kaum erreicht
„Das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm hat die Qualität der Untersuchungen deutlich verbessert“, stellte Univ.-Prof.in Dr.in Alexandra Resch, Strahlentherapeutin, Leiterin des Röntgeninstituts mit dem Schwerpunkt Brustgesundheit im Franziskusspital Margareten und Präsidentin der ÖGS, fest. „Das Problem ist allerdings, dass viel zu wenige Frauen am Programm teilnehmen.“
Der Effekt, Frauen zur Untersuchung zu bringen, die sonst wenig Kontakt zum Gesundheitssystem haben, ist nicht eingetreten. So war beispielsweise in Wien nur ein Prozent der im Rahmen des Brustkrebs-Früherkennungsprogramms untersuchten Frauen ab 50 zuvor noch nie bei einer Mammographie. Darüber hinaus ist insbesondere in der Gruppe der 60- bis 70-jährigen Frauen, die ein besonders hohes Erkrankungsrisiko aufweist, die Teilnahmequote besonders niedrig. „Offenbar wird hier über Medien und Werbemaßnahmen eine ‚falsche Awareness’ gebildet, die suggeriert, dass jüngere Frauen öfter betroffen sind – was jedoch völlig falsch ist. Um das Bewusstsein zu schaffen, auch diese Zielgruppe anzusprechen und dadurch die Teilnahmerate zu erhöhen, muss deutlich mehr Geld in die Hand genommen werden.“
Ärzte aller beteiligten Fachrichtungen müssen stärker in das Programm einbezogen werden – sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in Spitälern
Ein weiteres Problem ortete Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, MPH, Gynäkologe, Leiter der Brustgesundheit an der Universitätsfrauenklinik Wien und Vizepräsident der ÖGS, in der mangelnden Einbeziehung und Wertschätzung der niedergelassenen Gynäkologen: „Frauenärzte fühlen sich ausgeschlossen und nicht adäquat über das Programm informiert. Sie erhalten einen Brief, dass ihre Patientin an der Untersuchung teilgenommen hat, werden aber nicht einmal über das Ergebnis dieser Untersuchung informiert.“
Stärker in das Programm einbezogen werden müssen aber auch alle beteiligten Fachrichtungen im Rahmen der Assessments in Spitälern. „Bei verdächtigen Befunden ist es notwendig, dass jedes beteiligte medizinische Fach selbst die Ergebnisse der Abklärungsuntersuchungen nach international anerkannten Kriterien dokumentiert, sonst passieren Fehler“, sagte Prim.a Univ.-Prof.in Dr.in Angelika Reiner, Pathologin, Abteilungsvorstand des Pathologisch-Bakteriologischen Instituts im SMZ Ost – Donauspital Wien und Vizepräsidentin der ÖGS. „Dafür ist es notwendig, die Ärzte aller beteiligten Fachrichtungen ins gemeinsame Boot zu holen und gleichzeitig mehr personelle Ressourcen für Dateneingabe und Datenqualität zur Verfügung zu stellen.“
Seriöse Evaluierung des Programms mangels fehlender Daten nicht möglich
Ein weiterer Kritikpunkt am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm ist das Fehlen von Daten, die eine seriöse Evaluierung überhaupt erst möglich machen. „Es gab keinerlei Evaluierung des Ist-Zustands vor Beginn des Programms“, bemängelte Prof. Singer. „Wie soll man eine Verbesserung der Sterblichkeitsrate nachweisen, wenn man nicht weiß, wie hoch sie vorher war? Was wir brauchen, ist ein klinisches Krebsregister, um Therapien und den Früherkennungswert evaluieren zu können.“
Auch den Dokumentationsstand der Abklärungsuntersuchungen im Rahmen der Assessments als auch der nachfolgenden Therapien hält die ÖGS für unzureichend. „Ohne diese Daten kann die Effektivität des Programms niemals nachgewiesen werden“, monierte Prof. in Resch. „Die Akquisition der benötigten Daten kann aber nicht allein durch das Programm erfolgen, sondern es bedarf infolge der fragmentierten österreichischen Gesundheitslandschaft eines gemeinsamen Willens aller Beteiligten. Letztendlich hat der Steuerzahler ein Recht darauf, zu erfahren, ob sein Steuergeld sinnvoll und erfolgreich eingesetzt wird.“